„traces of time“
Ausstellung von Horst Bennemann im Christinenstift, Unkel 2019
Spuren der Zeit finden wir mit Leichtigkeit - aber was ist das eigentlich, Zeit?
Obwohl wir den Begriff problemlos benutzen und augenscheinlich Konsens über seine Bedeutung herrscht, fällt es schwer, den Begriff genau zu fassen, ihn zu definieren. Alle alten Kulturen (Ägypten, Babylonien, Griechenland,...), Philosophen und Physiker (z. B. Stephan Hawking in seinem bekannten Buch:
„Eine kurze Geschichte der Zeit“ haben sich darum bemüht - und sehrunterschiedliche Antworten darauf gefunden. Während in den alten Kulturen die Zeit eher als zyklisch betrachtet wurde, versteht der Physiker unter „Zeit“ im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins die 4. Dimension der Raumzeit und die moderne Philosophie die vom menschlichen Bewusstsein wahrgenommene Form der Veränderung. Letzteres ist der Ausgangspunkt meiner Bilder.
In der Zeit verändern sich Dinge, eine wirklich ereignislose Zeit gibt es nicht. Wir werden so Zeugen einer vergangenen Zeit. Während die Gegenwart kaum wahrnehmbar ist, bleibt Vergangenes sichtbar. Auch Ansichten, Idole, Einstellungen ändern sich - aber wir können anhand von Bildern und Geschichten einen auch emotionalen Bezug aus der Gegenwart zu der damaligen Zeit herstellen (vgl. Bild „adoración de héroes“, „Die Akte“, „Fenster der Kathedrale St. Michael - Brüssel (1)“, „Lustschloss“).
Eine besondere Art der Veränderung ist Bewegung - Dinge ändern ihren Ort in der Zeit. Bereits in der kurzem Zeitspanne, die wir Gegenwart nennen, findet Veränderung statt (vgl. z. B. „... what a rainy day!”). Ganz offensichtlich geht von diesem Blick zurück, diesem Anknüpfen an die Vergangenheit, eine besondere Faszination aus („Käfer-Schmetterlinge 1/2“). Die Jugend schmückt sich gern mit Kleidung, die den Anschein erweckt, schon lange getragen worden zu sein (used look), indem sie z. B. scheinbar verwaschene Jeans mit Löchern kauft. Der Eindruck, man trage die Dinge schon lange, habe eine besondere, individuelle Beziehung dazu, wird suggeriert. Vintage look ist ein anderes Beispiel. Städte, die deutliche Spuren der Vergangenheit aufweisen, sind touristisch gefragt - Venedig ist hier ein Beispiel. Neben imposanten Gebäuden („Palazzo Cavalli-Franchetti - Venedig“) findet man bei genauerem Hinsehen vielfach geflickte, feuchte, mit Moos überzogene und immer wieder teilweise überstrichene Wände. Kabel aller Art, die nacheinander in einem scheinbaren Chaos über die Wände gezogen wurden, zeugen von stetiger Elektrifizierung, Telefon- und TV-Anschluss. Da wurden Löcher gebohrt, Wände aufgemeißelt - und dann notdürftig verputzt. Gerade dieses Ensemble aus Konstanz und Veränderung macht einen besonderen Reiz aus. Hier wird mit dem Vergangenen gelebt, hier verändert sich etwas und trotz der Widersprüche entsteht ein harmonisches Ganzes („Venedig-Impression 1/2“). Die Beispiele zeigen: Alterungsprozesse führen (zumindest unter ästhetischem Aspekt) nicht notwendig zu einer Qualitätsminderung - im Gegenteil. Spuren der Zeit ziehen unser Interesse auf sich und regen an zum Denken.
Augustinus:
„Was also ist Zeit? Wenn niemand
mich danach fragt, weiß ich’s, will
ich’s aber einem Fragenden
erklären, weiß ich’s nicht“